ap_50766_img_0658_blind_montage_2Deutschland gibt sich gern als besonders behindertenfreundlicher Staat. Deshalb gibt es hierzulande ein Behindertengleichstellungsgesetz und ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Außerdem gewährt das Sozialgesetzbuch IX ausdrücklich Selbstbestimmung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Auch das Grundgesetz predigt seit 1994: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Eine Ansicht, die in den Köpfen der Menschen jedoch keinen Platz zu finden scheint.

So entschied ein Richter, dass eine Gruppe geistig behinderter Menschen ihren Garten nur noch zu bestimmten Zeiten betreten dürfen und begründete sein Urteil mit „der Art der Geräusche“ der Angeklagten. Ein Flensburger Gericht entschied sogar, dass es finanzieller Entschädigung bedurfte, im Urlaub gemeinsam mit Behinderten zu speisen. Dementsprechend blieb es wenig verwunderlich, dass die neue UN-Behindertenkonvention, die ab Januar in Deutschland in Kraft tritt, große Freude bei den weltweit rund 650 Millionen Menschen mit Handicap auslöste. Das Übereinkommen setzt besonders dort an, wo die Aussortierung aus der Gesellschaft anfängt – bei der Abschiebung auf die Sonderschule.

Jedoch warnen Arbeitgeberverbände bereits vor „verschärfter Überregulierung“ im Behindertenrecht und zu hohen finanziellen Belastungen, sollte die Sonderschule abgeschafft werden. Sie berufen sich dabei auf die bisherige Gesetzlage, die eine Integration ins reguläre Schulsystem nur vorsah, wenn keine unvertretbaren Kosten verursacht werden. Experten für Behindertenintegration, wie Wolfgang Bleschke von der Initiative „Mittendrin“, sehen für die benötigten Umbaumaßnahmen an Regelschulen allerdings keine Schwierigkeiten. Eine Finanzierung durch den bisherigen Etat der Sonderschulen, könne in etwa „kostenneutral“ bleiben.

Ein weiterer Grund für das Festhalten an der Sonderschule, scheint der Apparat selbst zu sein, der die eigene Existenz verteidigt. So ist es auffällig, dass es in Bundesländern mit besonders vielen Sonderschulen, auch besonders viele Sonderschüler gibt. Die Sonderschulen argumentieren jedoch stattdessen damit, dass das dreigliedrige Schulsystem sich nicht zur Integration von Behinderten eigne, da z.B. Hauptschulen bereits unter ihrem Ruf als Restschulen leiden. Dabei ist diese typische Angst des Bürgertums um das Leistungsniveau der Schulen unbegründet. So werden im EU-Durchschnitt 80 Prozent der Behinderten ins reguläre Schulsystem eingegliedert, ohne das ein Abfall der Leistungen zu bemerken wäre. Ganz im Gegenteil, so gibt es mittlerweile integrative Eliteschulen, die sich ihre nicht-behinderten Kinder aussuchen können, denn von einem solchen System profitieren alle.

In die Ministerien scheint dies jedoch noch nicht vorgedrungen zu sein. Auf die Anfrage, welche Umsetzungsmaßnahmen in Planung seien, bekam die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung nämlich eine besonders ungenierte Antwort. Der englische Begriff Inclusion, der im Originaltext die neue Art der Integration beschrieb, sei unübersetzbar, hieß es. Ob Behinderte Anspruch auf Unterricht an Regelschulen hätten, müsse dadurch offen gelassen werden. Stattdessen sei der „Unterricht an Förderschulen“ als „integrativer Teil des allgemeinen Bildungssystem zu verstehen“. Im Klartext: Sonderschulen sollen in „Förderschulen“ umbenannt und dann zu regulären Schulen erklärt werden. Ein Armutszeugnis für die Integration in Deutschland.

Robert Iwanetz